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Meine Frau

Im Gegensatz zu mir, hat meine Frau alles von Anfang an miterlebt. Dieses Erlebnis war für sie das Schlimmste, was sie bis dato durchlebt hatte: Die Nacht in der ich den Anfall hatte.
Sie wurde aus dem Schlaf gerissen, weil das gesamte Bett gewackelt hatte. Verschlafen und noch nicht ganz wach fragte sie mich, was denn los sei. Als statt einer Anwort nur wildes Röcheln und krampfartige Bewegungen von mir kamen, das Bett weiter kräftig wackelte, machte sie hektisch das Licht an und hatte das Geschehen in Sekunden erfasst. Alles lief ab wie ein Film: Wie in Trance saß jeder Handgriff. Sie brachte mich in die stabile Seitenlage - soweit das bei einem krampfenden und willenlosen 90-Kilo-Körper ging, da sie Angst hatte ich ersticke. Sie rannte nach dem Telefon, stellte sich dann sofort vor mein Bett, damit ich nicht rausfalle, und rief die 112. So kam bereits nach wenigen Minuten (ca. 10) auch schon der Notarzt. Gefühlt verging die Zeit überhaupt nicht!

Erst als der Notarzt mit mir ins Krankenhaus unterwegs war, versuchte sie zu realisieren was passiert ist ... das klappte nicht wirklich. Völlig durch den Wind und voller Adrenalin packte sie mir die nötigsten Dinge (1 kl. Reisetasche) fürs Krankenhaus zusammen, das dauert wohl knapp 1 Stunde, weil sie völlig planlos durch die Wohnung irrte.

Wieder zurück, nachdem sie mir die Sachen in die Klinik brachte, war an Schlafen natürlich nicht zu denken. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, kamen die Bilder des Krampfanfalls und des Geschehens von vor ein paar Stunden. Horror pur! Es war eine furchtbare Zeit. Verzweiflung und Erschöpfung im Höchstmaß (bis sich das wieder halbwegs normalisierte, vergingen viele Tage).

In den darauffolgenden Tagen kam dann nach der ersten Verdachtsdiagnose noch die Angst dazu. Angst davor, mich zu verlieren. Wir hatten doch noch so viel vor und wussten nicht, wohin uns unser Weg noch führt und wieviel Zeit uns noch bleibt.

Dem Hausarzt erzählte meine Frau nebenbei, dass ich manchmal aus Quatsch irgendwelche Sachen mache, wo sie dann gleich "Puls" bekommt und das Schlimmste vermutet, und das nur wenn ich z. B. auf Fragen nicht antworte, blöd in die Luft starre oder mit den Beinen wackel. Tja, sagte der Doktor: "Jetzt ist keine Zeit für Scherze!" Und ich verstand, dass sie einfach nur große Angst hatte, dass sich der Vorfall wiederholen könnte und sie alles wieder durchleben muss.

Diese Zeit war sehr schwer und anstrengend. Für uns beide.

Im Prinzip haben wir alle klassischen Phasen durchlebt:
  • Die Schockphase, die sich oft als Verleugnung und/oder dem Nichtwahrhabenwollen äußert.
  • Die sog. Reaktionsphase, in der eine massive psychische Belastung (z. B. starke Ängste und Depression) vorherrscht. Es gab üble Kräche zwischen mir und meiner Frau, die eigentlich in solch einer Situation völlig unnötig sind. Unsere Nerven lagen blank.
  • Allmähliche Anpassung an die aktuelle Situation erfolgte.
  • Eine erfolgreiche Krankheitsverarbeitung beinhaltet die Phase der Neuorientierung: Neues Verständnis für sich selbst und das Annehmen der Lebensumstände.
Dadurch, dass ich nach dem Krampfanfall 1 Jahr lang nicht Auto fahren darf, musste meine Frau nun ausschließlich diesen Part übernehmen. Sie sagte mir oft, dass sie das Gefühl hat, gar nicht mehr vom Fahrersitz runterzukommen. Jeden Tag zur Bestrahlung fahren, zu Ärzten, Einkaufen, alles musste sie jetzt mit dem Auto allein erledigen - und ich war ausschließlich Beifahrer. Und ich bin - als ehemaliger Selbstfahrer - kein guter Beifahrer.

Der Gesprächsstoff ging uns jedenfalls nicht aus, und so wuchsen wir in die Situation hinein.

Mittlerweile ist der Tumor nicht mehr nur das vorherrschendes Thema. Und 9 Monate nach dem Anfall führen wir Gott sei Dank wieder ein völlig normales "anderes" vielleicht auch "besseres" und "bewussteres" Leben als zuvor. Die Krebsdiagnose steht zwar immer noch im Raum und ist Bestandteil unseres Lebens, aber nicht im negativen Sinn, wir haben unser Leben umorientiert und machen mit dem Wissen um den Tumor das Beste daraus.