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Der Super-Gau

Ich bin 1959 geboren, war - bis auf Erkältungen, kleinere bis mittlere Unfälle - nie ernsthaft krank.

Als begeisterter Radfahrer (Mountainbike) nehme ich seit Jahren immer wieder an den verschiedensten Radveranstaltungen (in Deutschland, für Jedermann) teil, was mir unheimlich viel Spaß macht. Denn dafür muss ich auch trainieren, mir ein Ziel setzen.

Somit bin ich in Bewegung, an der frischen Luft, halte mich weitestgehend fit, was in meinem Alter nicht ganz unwichtig ist. Und dennoch hat es mich kalt erwischt.

Kurz nach einem Mountainbike-Urlaub in den Bergen im letzten Jahr (2015) hatte ich einen erst- und bislang einmaligen epileptischen Anfall (Grand Mal Anfall).

112 - Notarzt - Krankenhauseinweisung. Da ich bewusstseinseingetrübt war - während des Anfalls sowieso - habe ich Filmrisse. An einige Sequenzen erinnere ich mich, dass mich der Notarzt zu Hause untersucht hat, dann lag ich plötzlich im Rettungswagen, wie ich da hingekommen bin weiß ich nicht, irgendwann war ich im Krankenhaus, auch hier fehlen mir einige Erinnerungen.
Ich wurde dann von der Ersten Hilfe auf eine neurologische Station verlegt zur weiteren Abklärung.

Am nächsten Tag wurden mir dann die ersten Untersuchungsergebnisse mitgeteilt. Im nächtlichen CT hatte man im vorderen rechten Schläfenbereich etwas gesehen, was aber nicht eindeutig definiert werden konnte. Deswegen wurden weitere Untersuchungen angeordnet. Ein MRT mit Kontrastmittel sollte nun Aufschluss geben.

Das Ergebnis war dann der erste Schock. "Da ist was, was wächst." So wurde ich nach wenigen Tagen mit der Diagnose: Raumforderung rechts frontal unklarer Genese, Verdacht auf niedrigmalignes Gliom, entlassen, mit dem Hinweis, mich dann in neurochirurgische Obhut zu begeben, um das weitere Vorgehen mit dem Fachmann zu besprechen. Im Normalfall wäre ich von dem Krankenhaus direkt in die Neurochirurgie verlegt worden, was aber nicht ging, da ich in der ersten Nacht wegen Kopfschmerzen Aspirin bekommen hatte, was eine zeitnahe (innerhalb der nächsten 10 Tage) Operation nicht möglich machte wegen der Blutungsneigung durch das Aspirin.

Mein großes Problem war die Realisierung und der Umgang mit der (Verdachts-)Diagnose. Einerseits fühlte ich mich wie immer, aber hey ... ich habe vielleicht Krebs. Das war ganz schwierig für mich das anzunehmen. Ich sah in den Spiegel, alles war da wo es sein muss, ich sah nicht anders aus, fühlte mich zudem auch noch gut, aber da ist was im Kopf, was da nicht hingehört und wohlmöglich nichts Gutes verheißt (Dieser Zustand änderte sich auch erst später, nach der OP, während der Bestrahlung, als die Haare ausfielen, da begann die Phase, wo ich mich auch krank fühlte. Erst ab da an realisierte ich).

So stellte ich mich nach einer angemessenen Zeit mit dem Entlassungsbrief bei den Neurochirurgen vor. Dort wurde dann erneut ein MRT mit Kontrastmittel gemacht, und zwar mit der 3-fachen Menge, da dies wohl noch mehr Aufschluss gibt. Aber selbst nach diesem MRT konnte man nicht sicher sagen, was es denn nun ist.

Im anschließenden Gespräch mit dem Chefarzt der Neurochirugie wurde ich über meinen jetztigen Zustand aufgeklärt - soweit möglich. Erst nach Öffnung und histologischer Untersuchung könne man mit Sicherheit sagen, um was für eine "Raumforderung" es sich handelt. Bis dato ist man immer noch von einer relativ harmlosen Art von Tumor ausgegangen. Nachdem ich mit meiner Frau das Für und Wider diskutierte, habe ich mich für die operative Entfernung des Tumors entschieden.

Da aber die betroffene Stelle im Gehirn für Charakter und Erinnerungen zuständig ist, habe ich mit meiner Frau ausgemacht, dass sie mich nach der OP einige "Insider" abfragt. Blöde Sprüche, lustige Erinnerungen, bekloppte Lieder, die wir manchmal trällern, um mein Erinnerungsvermögen zu testen. Wir haben auch vorher ein gemeinsames Foto gemacht, als Beweis dafür, dass sie meine Frau ist.

5 1/2 Wochen nach dem epileptischen Anfall wurde ich dann operiert. Nach der OP auf der Überwachungsstation - als meine Frau mich dort besuchte - trällerte ich alles, was mir einfiel und plauderte "aus dem Nähkästchen". Meine Frau war mehr als erleichtert, dass alle Erinnerungen noch "da" waren.

Nach 5 Tagen Krankenhausaufenthalt konnte ich die Klinik verlassen. Im Gepäck der Entlassungsbrief mit der Diagnose: Anaplastisches Oligodenrogliom. Das war dann der zweite Schock. Wir sind immer von dem niedrigmalignes Gliom ausgegangen, und nun ist es zweifelsfrei bösartig.

Über die Betreuung bzw. Info der Ärzte im Krankenhaus auf der Station möchte ich mir hier nicht weiter auslassen, die war im Grunde eine Katastrophe. Aufgeklärt wurde ich bis zum Entlassungstag nicht, ich las es dann erst im Entlassungsbrief. Orientierungshilfe, wie ich nach dem Krankenhaus weiter verfahren muss, was ich zu tun habe, hat mir von dort niemand an die Hand gegeben. So haben meine Frau und ich alles selbst in die Hand nehmen müssen. Zuerst sind wir zum Hausarzt. Der schickte mich zu einem Onkologen. Da der aber keine Möglichkeiten für eine Bestrahlung hatte, bekam ich eine Überweisung und suchte mir selbst eine Praxis für Strahlentherapie aus. Diese war in dem Krankenhaus, wo ich zuerst mit dem Notarzt eingeliefert wurde. Dort sollte später auch die Chemotherapie stattfinden.

Durch Zufall - ich war schon um die 3 Wochen zu Hause - fragte mich eine Bekannte, was ich für einen Grad der Behinderung bekommen habe aufgrund meines Tumors. Ich war etwas belustigt, ich war doch nicht behindert! Was ich aber nicht wusste, dass ich nach Tumordiagnose beim Versorgungsamt einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen kann und mit Sicherheit einen nicht unbeträchtlichen Prozentsatz bekomme. Was das im Einzelnen für Vorteile hat, kann jeder selbst nachlesen. Also tat ich das auch noch. Es wäre nur anständig gewesen, mich direkt noch im Krankenhaus auf solche Möglichkeiten/Notwendigkeiten aufmerksam zu machen, aber wie ich gehört hatte, wird diese Information (in diesem Krankenhaus) prinzipiell nicht mehr an die Patienten weitergegeben.